TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” vom 21. Februar 2020 von Gabriele Starck “Rechtsterror kleingeredet, bis er groß war”

TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” vom 21. Februar 2020 von Gabriele Starck “Rechtsterror kleingeredet, bis er groß war”

Innsbruck (OTS) – Die Toten von Hanau zeigen, welch Fehler es ist, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auch nur ansatzweise hinzunehmen. Deutschland hat zu lange verdrängt, was nicht sein durfte – und jetzt ein massives Problem.

Es darf nicht sein, und doch ist es so: In Deutschland werden Menschen aus rassistischen Motiven umgebracht. Es ist nicht das System wie vor 75 Jahren, das mordet. Aber es ist verletzlich geworden. Das Fundament der freien und demokratischen Gesellschaft hat kleine Risse bekommen, die nach und nach die Maxime „Nie wieder!“ ins Wanken bringen.
Rechtsextremer Terror wurde von der Realpolitik viel zu lange kleingeredet, beiseite geschoben, verdrängt. Dass die Politik nun wieder ihr Entsetzen und ihre Trauer bekundet, reicht nicht – auch nicht, dass sie Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus nur ankündigt. Innenminister Horst Seehofer (CSU) ließ zuletzt zwar ein paar Zellen ausheben und die Neonazi-Gruppe Combat-18 verbieten. In den eigenen Reihen wurde aber noch nicht aufgeräumt. Immerhin ist seit Ende 2018 bekannt, dass ein rechtsextremes Netzwerk die Frankfurter Polizei unterwandert hat, und auch die Bundeswehr hat große Probleme mit rechtem Extremismus in ihren Reihen. Das ist übrigens bereits systemgefährdend.
Zu den Bedrohungen für ein freies und demokratisches Land gehören aber nicht nur die Extremisten, sondern auch vermeintlich demokratische Kräfte in den Parlamenten, die sich über andere erheben. In Deutschland ist das die AfD. Mit steten Botschaften gegen Menschen, die aus einem anderen Land kommen, an etwas anderes glauben oder einfach anders sind, befeuern sie Ängste und Hass in der Gesellschaft. Einen Hass, der sich letztlich auch gegen jene richten muss, die sich für das Andere, das Fremde – also für Menschenrechte – einsetzen. Kanzlerin Angela Merkel etwa wurde von der AfD dafür zum Feindbild und Sündenbock schlechthin erkoren.
Hassbotschaften fallen auf fruchtbaren Boden. Bislang Unsagbares wird plötzlich gesagt, der Protest darüber immer leiser. Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion werden salonfähig. Und Hanau hat nach dem Mord an Walter Lübke in Kassel und dem Anschlag in Halle erneut gezeigt, dass Hass schnell tödlich werden kann. Wer persönlich nicht gefestigt ist, ob nun paranoid, narzisstisch oder gekränkt, mag in Hassbotschaften einen Auftrag sehen, die vermeintlichen Feinde beseitigen zu müssen. Diese Täter werden zu Handlangern jener, die die Gesellschaftsordnung in ihrer jetzigen Form zerstören wollen, und nehmen damit Extremisten jeglicher Richtung auch noch das Morden ab. Eine perfide Methode, die schon der IS für Anschläge in Europa einzusetzen wusste.

Tiroler Tageszeitung
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