Folteropfer fordert Entschädigung von Deutschland / Vorwurf: Deutsche Sicherheitsbehörden mitverantwortlich für Haft und Folter in Marokko / „Report Mainz“, 8.9.2020, 21:45 Uhr im Ersten

Folteropfer fordert Entschädigung von Deutschland / Vorwurf: Deutsche Sicherheitsbehörden mitverantwortlich für Haft und Folter in Marokko / „Report Mainz“, 8.9.2020, 21:45 Uhr im Ersten

Mainz (ots) – Neue Dokumente im Fall Mohamed Hajib

Mainz. Ein Deutschmarokkaner wirft der Bundesrepublik vor, für seine mutmaßliche Folter in Marokko mitverantwortlich zu sein. Mohamed Hajib beschuldigt deutsche Sicherheitsbehörden, sie hätten ihn im Februar 2010 dazu gedrängt, von Frankfurt nach Marokko zu fliegen. Dort sei er von der Polizei mitgenommen und gefoltert worden. Hajib saß sieben Jahre in marokkanischer Haft. Er hat eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengt und fordert mindestens 1,5 Millionen Euro Schadensersatz. „Die deutschen Behörden haben mein Leben zerstört“, sagt Hajib im Interview mit dem ARD Politikmagazin „Report Mainz“ und dem „Spiegel“.

Outsourcing von Folter?
Hunderte Seiten interner Behördendokumente und Justizunterlagen, die „Report Mainz“ und „Spiegel“ auswerten konnten, liefern Einblicke in den Fall. Demnach hielten die deutschen Behörden Hajib für einen Islamisten, der Terroranschläge verüben könnte, was Hajib bestreitet. Nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Pakistan wurde er am Flughafen Frankfurt von Polizisten in Empfang genommen, wo ihn ein Beamter „bewegt“ habe, ein Ticket nach Casablanca zu kaufen, wie es in einem Einsatzbericht des hessischen Landeskriminalamts (LKA) heißt. Noch am selben Tag, so steht es in den Akten, „wurden die marokkanischen Behörden über die Rückreise des Antragstellers von Pakistan nach Deutschland und dessen freiwillige Weiterreise nach Marokko durch das Bundeskriminalamt informiert“. Das hessische LKA bestreitet, dass seine Polizisten Druck auf Hajib ausgeübt hätten: „Die Weiterreise von Herrn Hajib nach Marokko erfolgte freiwillig“. Laut Bundesinnenministerium sei Hajib in Marokko nicht aufgrund der „übermittelten Informationen“ verhaftet worden. Das Risiko menschenrechtswidriger Behandlung sei in seinem Fall abgewogen worden. Dabei habe man auch berücksichtigt, dass Hajib freiwillig nach Marokko gereist sei.

Aus internem Briefverkehr und Behördenunterlagen geht hervor, dass Deutschland unmittelbar nach Hajibs Ausreise seine Ausbürgerung betrieb. In dem Ausbürgerungsverfahren des Bundesverwaltungsamtes wird auch das mutmaßlich unter Folter entstandene „Geständnis“ und das Urteil vor marokkanischen Gerichten zur Begründung der Ausbürgerung herangezogen. Nach der Intervention seines Anwalts wird das Ausbürgerungsverfahren eingestellt.

Der 39-Jährige Hajib lebt heute in Nordrhein-Westfalen von Sozialhilfe und ist krank. Bei ihm wurde eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Ein Gutachter des Instituts für Rechtsmedizin in Düsseldorf diagnostizierte zudem „relativ scharfrandig begrenzte, teils bügeleisenartige, teils eher stabartige Narben“ auf seinem Rücken.

Wolfgang Neskovic kritisiert BKA

Vor dem Hintergrund des Falls Hajib kritisiert der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, das Vorgehen des BKA: „Wenn das BKA, obwohl gegen Herrn Hajib keine strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geführt wurden, dennoch Tatsachen oder Einschätzungen an die marokkanischen Sicherheitsbehörden übermittelt hat, die ihn als terrorverdächtigen Gefährder ausweisen, dann wäre das rechtswidrig gewesen. Bei Übermittlung von Daten an ausländische Sicherheitsbehörden muss das BKA nach der Gesetzeslage die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen berücksichtigen. Dabei hat es vornehmlich zu bedenken, ob der Betroffene staatliche Repressionen befürchten muss, die mit elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sind. Hierzu gehört insbesondere auch das Folterverbot. Zum damaligen Zeitpunkt gab es genügend – auch öffentliche – Belege und Hinweise, wonach die deutschen Sicherheitsbehörden nicht darauf vertrauen konnten, dass die Einhaltung dieser Grundsätze in Marokko gewährleistet war.“

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