TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Harter Elchtest für Türkis-Grün”, von Alois Vahrner

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Harter Elchtest für Türkis-Grün”, von Alois Vahrner

Ausgabe vom Samstag, 10. April 2021

Innsbruck (OTS) – Vom Umfragehoch aus Lockdown Nummer 1 sind die Koalitionsparteien weit entfernt, von einem halbwegs einheitlichen Außenbild noch weiter. Vor allem Bundeskanzler Sebastian Kurz muss jetzt rasch eine Wende schaffen.

Eine Liebesheirat war die europaweit beachtete Koalitions-Premiere von Türkis und Grün ohnehin nie. Ibiza-Skandal, Platzen von Türkis-Blau, Neuwahlen und Wahlerfolge für beide Parteien: Es waren besondere Umstände, welche die vorher kaum denkbare Polit-Gemeinschaft erst Anfang 2020 ermöglichten.
Das „Beste aus beiden Welten“ sollte es werden – Sicherheit und Wirtschaftsfreundlichkeit für die ÖVP und Klimaschutz und Korruptionsbekämpfung für die Grünen.
Dann kam Corona und damit ein vorher so kaum vorstellbarer Dauer-Ausnahmezustand, dem sich die Koalition zu stellen hatte. Anfangs auch mit guter, gemeinsamer Außenwirkung. Die erste Corona-Welle hat Österreich gut bewältigt, die Krisen-Bekämpfung wirkte auch als Koalitions-Kitt.
In Umfragen profitierten beide Seiten: Bundeskanzler Kurz und seine türkise ÖVP, die über Wochen gar an der absoluten Mehrheit kratzte, aber auch die Grünen legten spürbar zu. Das gesamte grüne Regierungsteam lag im Vertrauensindex sehr gut, allen voran Gesundheitsminister Rudolf Anschober als Umfragekaiser.
Dann kam immer mehr Sand ins Getriebe – bei den Corona-Maßnahmen, bei vielen inhaltlichen Fragen sowie bei Diskussionen über Justiz, Flüchtlinge auf Lesbos, ÖBAG-Besetzung und andere Ungereimtheiten. Es wurde eine immer längere Liste an Punkten, bei denen vor allem die Grünen am Vorgehen der ÖVP-Spitzen schwer zu kauen hatten.
Das alles hat Folgen. Die ÖVP liegt mit etwa 35 Prozent immer noch klar auf dem ersten Platz, der Trend geht aber schleichend doch nach unten. Die Grünen, die kurzzeitig sogar auf Platz 2 lagen, fielen auf 10 Prozent und den derzeit nur fünften Platz zurück. Würde also jetzt gewählt, hätte Türkis-Grün wohl keine Mehrheit mehr.
Für Kanzler Kurz ist auch der neueste Vertrauensindex alarmierend, auf dem er in den letzten Monaten auch viel Boden verloren hat und nur noch auf Platz 4 liegt – nach Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne). Ebenfalls abgerutscht ist Gesundheitsminister Anschober. Vor SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die so als Herausforderin weiter keine Gefahr für Kurz darstellt, blieb auch er. Kurz wurde für eine entschlussfreudige und saubere Politik gewählt. Einiges, was da zuletzt publik wurde, hatte eine schiefe Optik. Und er muss, so nicht die nächste Koalition an die Wand fahren soll, rasch die Schubumkehr finden – und die Grünen mehr leben lassen als bisher.

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender