TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Auf der Suche nach dem Gaspedal”, von Manfred Mitterwachauer

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Auf der Suche nach dem Gaspedal”, von Manfred Mitterwachauer

Ausgabe vom Donnerstag, 23. September 2021

Innsbruck (OTS) – Tirol hat seit 2012 eine Nachhaltigkeitsstrategie und will 2050 energieautonom sein. Dass sich Schwarz-Grün nun eines Leitantrags bedienen muss, um „Land und Klima [zu] schützen“, wirkt wie das Eingeständnis, zu lange zu wenig dafür getan zu haben.

Auf 20 Seiten verteilt und in 49 thematische Unterpunkte geglieder­t, haben die schwarz-grünen Koalitionäre ges­tern bei ihrer Klausur ihre Ansätz­e komprimiert, wie die Landesregierung gedenkt, Tirol zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu verhelfen. Das Ganze nennt sich Leitantrag und bekam auch gleich ein schwungvolles Motto verpasst: „Land und Klima schützen“. Einiges, was darin aufgelistet wird, gereicht dem Umweltschutz tatsächlich zu aller Ehr’ – weil es sich um bestens recycelte Polit-Altware handelt. So, als müssten sich ÖVP und Grüne stets aufs Neue erst daran erinnern, welch hehres Ziel man sich bereits 2014 gesteckt hat: nichts Geringeres als die Energieautonomie 2050. Analog zum Bund jetzt auch die Klimaneutralität – 2040. Klingt weit weg, ist es aber nicht. Mit dem bisher an den Tag gelegten Tempo wird Tirol im Klimaschutzrennen aber höchstens am Pannenstreifen landen, anstatt die Zielflagge je zu Gesicht zu bekommen.
Dass in Tirol eine Energiewende ohne den massiven Ausbau der Wasserkraft nicht zu stemmen ist, ist kein Geheimnis. Dass viele aktuelle Kraftwerkspläne stocken, ebenso. Das Einbauverbot für Ölheizungen ist längst beschlossene Sache, die Umstiegsförderungen laufen. Dass dem ungebremsten Bodenverbrauch Einhalt zu gebieten ist, wird fast tagtäglich beklagt. Und dass die öffentlichen Großküchen im Sinne der Öko-Nachhaltigkeit dazu verpflichtet werden sollen, regionale Produkte zu verarbeiten, ist seit Jahrzehnten ein wiederkehrender Schenkelklopfer bei Weihnachtsfeiern im Lebensmittel-(Diskont-)Großhandel.
Dennoch ist der schwarz-grüne Leitantrag nicht frei von nennenswerten Innovationen. Dass künftig alle neuen Gesetze, Verordnungen und Erlässe einem „Klima-Check“ zu unterziehen sind – das birgt nicht nur Potenzial, sondern auch koalitionären Sprengstoff. Man möge sich nur ausmalen, was das für ein neues Tiroler Seilbahn- und Skigebiets­programm heißen würde. Auch, dass dem Landesenergieversorger Tiwag bei den „Erneuerbaren“ (abseits der Wasserkraft) mittels einer eigenen neuen Tochtergesellschaft jetzt Beine gemacht werden, zeugt vom Willen, Gas zu geben. Nur halt viel zu spät, denn auch bei der fixierten Photovoltaik-Pflicht auf den Dächern öffentlicher Gebäude drängt sich Außenstehenden die Frage auf, wieso das nicht schon seit der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsstrategie 2012 so der Fall ist.
Der Leitantrag wirkt deshalb wie das politische Eingeständnis, zu lange zu wenig im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes getan zu haben. Immerhin – die schwarz-grüne Regierung wird sogar fürs Umdenken bezahlt.

Tiroler Tageszeitung
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