Verfolgung pro-westlicher Reformer schadet dem Ruf der ukrainischen Korruptionsbekämpfungsbehörden

Verfolgung pro-westlicher Reformer schadet dem Ruf der ukrainischen Korruptionsbekämpfungsbehörden

Wirtschaftsredakteur und -Analyst Serhiy Lyamets:

_Die Strafverfahren gegen den ehemaligen Naftogaz-Chef Andriy Kobolyev, den ehemaligen Direktor des Kiewer Flughafens Boryspil, Yevhen Dykhne, den ehemaligen Infrastrukturminister Andriy Mykolayovych Pyvovarsky und den ehemaligen Gouverneur der Nationalbank, Kyrylo Shevchenko, weisen auf eine politische Verfolgung hin und sind aus juristischer Sicht äußerst wenig überzeugend. Pro-westliche Meinungsführer in der Ukraine sind der Meinung, dass diese Fälle die Institution der Anti-Korruptions-Vertikale diskreditieren._ 

Ich stütze mich bei meiner Analyse auf die Beobachtung der Aktivitäten der Korruptionsbekämpfungsbehörden in den letzten Wochen und komme zu dem Schluss, dass die Anti-Korruptions-Vertikale in der Ukraine einen Imageverlust erlitten hat.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Anti-Korruptions-Vertikale nahezu deklassiert worden. Denn die beste Erklärung für die Prozesse gegen Pyvovarskyi, Smelyanskyi, Shevchenko, Dykhne und Kobolyev ist, dass sie vom Präsidialamt angeordnet wurden. Anstatt korrupte Beamte transparent zu bestrafen, haben sich das Nationale Antikorruptionsbüro, die spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft und das Oberste Antikorruptionsgericht in die gleiche “Machtvertikale” verwandelt wie die “alten” Strafverfolgungsbehörden.

Ich stimme mit Vertretern der pro-westlichen Wirtschaftskreise der Ukraine überein, dass alle diese Fälle Anzeichen von Selektivität aufweisen.

Viele Meinungsführer sagen, dass es in allen Fällen eine eklatante rechtliche Willkür gibt. Die Fälle Kobolev, Pyvovarsky, Smelyansky, Shevchenko und Dykhne sehen nicht nach Exzessen, sondern nach einem neuen System aus. Jetzt haben ihre Fälle eine große Chance, zum Gegenstand westlicher Aufmerksamkeit zu werden. An ihrem Beispiel soll der juristische Nihilismus untersucht werden. Man wird diese Fälle analysieren, um vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gewinnen, zum Nachteil der ukrainischen Anti-Korruptions-Organisationen.

Die Situation hat sich durch die Ernennung einer neuen Leitung des Nationalen Antikorruptionsbüros, das als dem Präsidialamt nahe stehend gilt, zusätzlich verschärft. Damit wird der Hauptvorteil des Antikorruptionsbüros gegenüber anderen Strafverfolgungsbehörden – nämlich seine Unabhängigkeit – in Frage gestellt.

Wir sind in der Ukraine lange Zeit davon ausgegangen, dass die Antikorruptionsbehörden völlig unabhängig sind. Oder nur bedingt abhängig von westlichen Partnern, aber nicht von der ukrainischen Regierung. Dies war die Grundlage für das Image der vertikalen Antikorruptionsbehörde und für die Unterstützung des Rufs der prowestlichen Lobby. Doch dann kamen die Fälle Kobolev, Pyvovarsky, Smelyansky, Shevchenko und Dykhne. Sie sehen zu sehr nach politischen Fällen aus. Zudem sehen wir, dass Missbräuche großen Ausmaßes beim Zoll, bei der Nationalbank und im Steuersystem ohne angemessene Bewertung bleiben. Uns wir sehen auch, dass es einen bestimmten Kreis von Unberührbaren gibt, die Schlüsselpositionen innehaben und von denen aus diese die Sicherheits-, Steuer- und Zollbehörden beaufsichtigen‘.

Die Tatsache, dass die Behörden die Antikorruptionsorgane zur Verfolgung von reformorientierten Managern einsetzen, wird negative Folgen für das gesamte politische System der Ukraine haben. Denn Beamte, die sich selbst für subjektiv und reformfähig halten, erhalten ein klares Signal: Jede Reform kann im Nachhinein kriminalisiert werden, und effektive Arbeitsergebnisse können sich in eine Liste von Anklagen verwandeln. 

Es gibt eine Verwässerung und Diskreditierung dieses Kampfes, massive Angriffe auf Unternehmensreformen und die Investitionsattraktivität in der Ukraine nach dem Krieg. Dies sind Schritte in Richtung einer autoritären Kleptokratie und autoritär-polizeilicher Tendenzen in der Regierung des Landes. Es ist besonders merkwürdig, dass dies ausgerechnet jetzt geschieht, wo die ganze Aufmerksamkeit der westlichen Partner auf militärische Fragen gerichtet ist.

Kiew, 14.3.2023

Serhiy Lyamets
Journalist und Finanzanalyst
Ehemals Redakteur der Ekonomichna Pravda
Mail: anserua@gmail.com
Tel: +380673717337

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