TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” Dienstag, 28. Jänner 2020, von Anita Heubacher: “Kopftuchverbot entzweit das Land”

Innsbruck (OTS) – Dass Anderssein sichtbar wird, muss die Mehrheit aushalten. Wie sonst soll eine pluralistische Gesellschaft, wie wir sie nun einmal haben, funktionieren? Das Kopftuch ist aus feministischer Sicht hinterfragenswert, ein Verbot unappetitlich.

Innsbrucks Diözesanbischof Hermann Glettler ist gegen das Kopftuchverbot und dafür, dass in Klassenzimmern neben dem Kreuz bei entsprechenden Schülerzahlen auch andere Glaubenssymbole Platz haben dürfen. Wobei für Bischof Glettler, und das betont er, das Kopftuch, anders als für Kardinal Schönborn, kein religiöses Symbol, sondern ein kulturelles ist.
Der Wunsch Glettlers entspricht der österreichischen Praxis, wie die Trennung zwischen Staat und Kirche hierzulande gelebt wird. Laizismus gibt es in Frankreich, in Österreich kooperieren Staat und Kirche. Das lässt sich unter anderem am Religionsunterricht ablesen. Dementsprechend hinkt ein Vergleich des in Österreich geltenden Kopftuchverbotes mit jenem in Frankreich. Dort dürfen Schüler in Klassenzimmern weder Kopftuch noch Kippa oder größere Kreuze tragen. „Wollen wir wirklich eine Religion an den Pranger stellen?“, fragt Bischof Glettler weiter. Nun, Türkis und Blau fuhren gut damit. So gut, dass Türkis den Mitte-rechts-Kurs fortsetzt und eine zumindest ehemalige Linkspartei das zulässt. Die Grünen wollen regieren. Außerdem sitzt ihnen der Rauswurf aus dem Parlament noch im Nacken. Der gelang nicht zuletzt aufgrund von Peter Pilz und dem Migrationsthema. Es waren die Grünen und die SPÖ, die sich um Migranten, um ehemalige Gastarbeiter, kümmerten. Auf dem Altar der Multikulti-Gesellschaft wurde allerdings übersehen, dass da viele Konservative und keine Linken mit liberaler Weltanschauung in den Partei-gremien Platz nahmen. Eine differenzierte Betrachtung des Frauenbildes der Parteineuzugänge und deren Communitys wurde vielleicht angestellt, aber öffentlich viel zu wenig diskutiert und thematisiert. Am Ende machte sich das Engagement der Linksparteien für diese Wählergruppe oft an der Wahlurne nicht bezahlt. Ehemalige Zugewanderte wählten zum Teil plötzlich die Partei der Ausländerfeindlichkeit, die FPÖ, Arbeiter verschreckte die Gastfreundschaft.
Das Kopftuch sei ein kulturelles Symbol, sagt Bischof Glettler. Es steht auch für eine Kultur, die ein rückwärtsgewandtes Frauenbild lebt. Nicht in allen Familien, aber in vielen. Da muss sich wohl zuallererst die muslimische Glaubensgemeinschaft Versäumnisse vorwerfen lassen und den innerislamischen Dialog suchen. Auf Dialog und Bildung, statt auf ein Kopftuchverbot, sollte auch Österreich setzen. Das täte gut und not.

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