Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 23. März 2021. Von WOLFGANG SABLATNIG. “Vertrauensverlust in der Warteschleife”.

Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 23. März 2021. Von WOLFGANG SABLATNIG. “Vertrauensverlust in der Warteschleife”.

Innsbruck (OTS) – Verschärfungen und Erleichterungen der Corona-Maßnahmen abhängig zu machen von der Situation in Bundesländern und Bezirken macht Sinn. Sonst hat die Regierung aber nicht viel zu bieten.

Der Spiegel titelt heute mit „Schimpf und Schande. Die neue deutsche Unfähigkeit“. „Warum bekommen wir das Corona-Chaos nicht in den Griff?“, fragen die Kollegen des Nachrichtenmagazins. Für uns in Österreich ist dieser Aufmacher bestenfalls ein kleiner Trost: Auch andere kommen nicht weiter und stolpern sogar in den nächsten Lockdown.
Die Ernüchterung über die gestrigen Ankündigungen kann der Vergleich aber nicht mindern. Es tut weh: weiter warten auf Gasthaus, Konzert und Sport, weiter warten auf die Hotelöffnung. Nur Vorarlberg ist anders. Gleichzeitig bleiben Fragezeichen: Warum hat die Regierung vor dem Bund-Länder-Gipfel vor einer Zuspitzung auf den Intensivstationen gewarnt, wenn das keine Folgen hat? Neu ist nur der Blick auf die Bundesländer und Bezirke. Da sollen auf den Osten des Landes auch strengere Regelung zukommen.
Regionalisierung? Wir erinnern uns an die Corona-Ampel, die in der zweiten Welle unterging. Der zweite Anlauf ist dennoch ohne Alternative: Einheitliche Regeln funktionieren nicht mehr. Zu gut sind die Zahlen im Westen, zu alarmierend im Osten. Tirol und Kärnten haben gezeigt, dass Maßnahmen in einzelnen Bezirken erfolgreich sein können. Funktionieren kann dieses Konzept aber nur, wenn es nicht bei der ersten Gelegenheit über den Haufen geworfen wird.
Damit sind wir beim Problem des gestrigen Bund-Länder-Gipfels: Ein „Weiter wie bisher“ verheißt nichts Gutes. Eine Umfrage nach der anderen zeigt, wie das Vertrauen in die Regierung und ihre Maßnahmen sinkt. Gleichzeitig halten weniger Menschen die Beschränkungen ein. Diese Beobachtung machen viele im Alltag. Sozialwissenschafter der Uni Wien finden in den Umfragedaten für ihr „Corona Panel Project“ auch handfeste Belege dafür.
Anschober mag das Bild des Marathons, bei dem die letzten Kilometer die schwierigsten sind. Jede und jeder Einzelne muss für sich entscheiden, ob sie oder er die Corona-Regeln für plausibel hält. Jeder hat es in der Hand, nach diesen Vorschriften zu leben – oder eben nicht.
Starke Bilder unterstützen diese Entscheidung. Vor einem Jahr schockierten die Bilder der italienischen Militär-Lkw, die Särge abtransportierten.
Und jetzt? Statt Abschreckung würden wir uns positive Motivation wünschen. Die Impfung bietet sich dafür an. Bisher ist ihre flächendeckende Verfügbarkeit zwar nur ein Versprechen. Etwas Besseres kann die Regierung aber nicht bieten.

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