TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Schwarz-Grün bremst sich aus”, von Peter Nindler

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Schwarz-Grün bremst sich aus”, von Peter Nindler

Ausgabe vom Freitag, 3. Juni 2022

Innsbruck (OTS) – Diskussion und Vorgangsweise über reduzierte Tempolimits auf Gemeinde- und Bundesstraßen sowie Autobahnen offenbaren, dass der schwarz-grüne Kitt lose geworden ist. Einstige Stärken werden geschwächt, LH Günther Platter gerät unter Druck.

Aktuell gibt Schwarz-Grün in Tirol wahrlich ein jämmerliches Bild ab. Profilierungssüchtig wegen der bevorstehenden Landtagswahl und Kür ihrer Spitzenkandidaten überrumpeln die Grünen die ÖVP mit dem Vorstoß für eine österreichweite Temporeduktion. Selbst die sonst so auf Koalitionsharmonie bedachte Verkehrsreferentin und Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) verzichtet auf ein persönliches Gespräch mit Landeshauptmann Günther Platter (VP). Wohl wissend, dass dies ein heikles Thema ist, wie die koalitionsinternen Debatten über den Luft-100er gezeigt haben. Das geht politisch gar nicht.
Darüber kann die Volkspartei berechtigt empört sein. Ihre eigene Tollpatschigkeit, dass sie die Stellungnahme des Landes zur Reform der Straßenverkehrsordnung offenbar nur bruchstückhaft studiert, zu wenig ernst genommen bzw. überhaupt nicht gelesen hat, darf sie dem Koalitionspartner allerdings nicht umhängen. Gleichzeitig zeugt es von grüner Mutlosigkeit, Tempolimits von 30, 80 und 100 km/h nicht schon längst offen mit der ÖVP in Tirol andiskutiert zu haben. Darüber reden muss angesichts von Verkehrssicherheits- und Klimafragen möglich sein. Durch die Hintertür zu huschen und die Tempobremse als Anhängsel dem Bund „hinzuwachseln“, löst eher bremsende Reflexe als den Willen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung über angemessene Geschwindigkeiten im Straßenverkehr aus.
Die politisch ungünstige Gemengenlage für die schwarz-grüne Landesregierung erreicht damit beinahe wöchentlich neue Höhepunkte. Die ÖVP belasten die Corona-Hilfsgelder für ihren Seniorenbund, das Duell um die Spitzenkandidatur lähmt die Grünen wiederum seit Wochen. Wie es bei ihnen weitergeht, ist zudem unsicher. Andererseits belauern sich ÖVP und Grüne in zentralen Themen wie Pflege, Wohnen, Tourismus und Seilbahngrundsätze nur noch oder sie ziehen bei der Wahlkampfkostenobergrenze bzw. der Wolfs-Problematik in entgegengesetzte Richtungen. Und unterschwellig richtet die ÖVP den Grünen immer öfter aus, dass sie als Koalitionspartner ein Auslaufmodell sind.
Als Regierungschef hält Günther Platter weiter den Deckel drauf. Aber wie lange noch? Die Koalition mit den Grünen ist zwar sein Leuchtturmprojekt, doch was nützt ein sicherer Hafen, wenn das „Leuchtfeuer“ politisch erlischt und Schwarz-Grün „irrlichtert“. Es fällt auf ihn zurück, das kann Platter gar nicht gebrauchen. Auch keine Opposition, die bereits seit Wochen Töne wie im Intensivwahlkampf spuckt.
Die Reißleine zu ziehen und bereits im Herbst zu wählen, kostet Platter nach wie vor Überwindung. Nur bald wird es für den ÖVP-Chef alternativlos.

Tiroler Tageszeitung
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