25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien: Bekenntnis zur historischen Verantwortung

25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien: Bekenntnis zur historischen Verantwortung

Ausstellung „Raub“ des Wien Museums und des Jüdischen Museum Wien macht verbrecherische Enteignung im NS-Regime zum Thema – Zwei Publikationen beleuchten Raub und Restitution

„Raub“ titelt die heute startende Doppelausstellung des Jüdischen Museum Wien und des Wien Museums, denn sie macht die systematische Enteignung und Plünderung von jüdischen Privatpersonen als Teil der gezielten Verfolgung und Vernichtung während des totalitären Regimes der Nationalsozialisten zum Thema. Die Ausstellung zur Geschichte dieser schamlosen „Arisierungen“ verknüpft sich eng mit der Unmöglichkeit, den Holocaust zu „bewältigen“ und dem gleichzeitigen Versuch, konkretes Unrecht wiedergutzumachen. In Konsequenz wurde daher 1998 in Österreich das Kunstrückgabegesetz verabschiedet und im Jahr 1999 im Wiener Gemeinderat beschlossen, dass alle geraubten und in die Sammlungen der Stadt Wien überführten Objekte, ausnahmslos zu restituieren sind.

BEWUSSTSEIN FÜR BEGANGENE VERBRECHEN WACHHALTEN

Vor 25 Jahren setzte also in den Sammlungen der Stadt Wien eine umfassende Forschung nach illegitimen Objekten sowie deren wahren Eigentümer*innen und/oder Rechtsnachfolger*innen ein. „Restitutionsforschung hat nicht nur zum Ziel, Objekte ihren Besitzer*innen bzw. Rechtsnachfolger*innen zurückzugeben – sie legt Finger in Wunden, um zu verstehen, zu mahnen und vor allem entstandenes Leid anzuerkennen. Die Restitutionsforschung strebt nicht danach, Verbrechen zu sühnen oder die Vergangenheit final zu erschließen. Was ihr gelingt, ist auch das Bewusstsein für begangene Verbrechen wachzuhalten und damit einen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten“, betont Wiens Stadträtin für Kultur und Wissenschaft Veronica Kaup-Hasler. „Der Prozess, der 1999 startete, markiert aber auch das starke Bekenntnis der Stadt zu ihrer historischen Verantwortung“, so Kaup-Hasler weiter.

Mit welcher Perfidie sich jüdisches Eigentum angeeignet wurde, illustriert etwa das überlieferte Zitat von Karl Wagner, von 1938 bis 1949 Direktor des Wien Museums: „Durch die jüdische Abwanderung ist eine Bewegung in den Kunstmarkt gekommen, wie wohl seit der Klosteraufhebung 1872 nicht wieder“, beschrieb Wagner 1940 die „günstige Gelegenheit“ zum Erwerb von Kunstgegenständen aus „arisierten“ Sammlungen.

AUSSTELLUNG ALS TEMPORÄRES MAHNMAL

„Die Doppelausstellung im Wien Museum und dem Jüdischen Museum Wien ist wie ein temporäres Denkmal für die Beraubung der jüdischen Bevölkerung Wiens in der NS-Zeit und die Einverleibung des Raubguts in öffentlichen Sammlungen zu verstehen“, erklärt Hannes Sulzenbacher, Kurator des Jüdischen Museums Wien, einem Museum der Wien Holding. Die Ausstellung erinnert daran, dass bei der Aufarbeitung der historischen Verantwortung die Opfer nie vergessen werden dürfen.

ENDE DER FORSCHUNG IST NICHT ABSEHBAR

Gerhard Milchram, Kurator des Wien Museums, ergänzt: „25 Jahre mussten aufgewendet werden um festzustellen, wie viel Raubgut sich die Städtischen Sammlungen Wiens in den Jahren 1938 bis 1945 einverleibt haben und um die eigene Verstrickung in die NS-Verbrechen zu erforschen. Vieles konnte an die ursprünglichen Besitzer oder deren Erb*innen zurückgegeben werden. Dennoch bleiben auch nach 25 Jahren viele Fragen, und ein Ende der Forschung ist nicht absehbar.“

RÜCKBLICK AUF 25 JAHRE RESTITUTIONSFORSCHUNG

In der Publikation „In gutem Glauben erworben“ blicken die Restitutionsforscher der Stadt Wien, Christian Mertens (Wienbibliothek), Gerhard Milchram und Michael Wladika (Wien Museum) auf die Arbeit der vergangenen 25 Jahre zurück. Seither haben die Wienbibliothek im Rathaus (früher Wiener Stadt- und Landesbibliothek) sowie die Museen der Stadt Wien sämtliche Erwerbungen aus der NS-Zeit minutiös überprüft. Die Bilanz der 1999 begonnenen konsequenten Rückgabe: Mehr als 2.856 einzelinventarisierte Objekte und 24 Archivboxen aus der Wienbibliothek und 4.652 Objekte des Wien Museums – das ist der überwiegende Teil der als unrechtmäßig erworben eingestuften Kunst- und Kulturgegenstände – wurden laut dem zuletzt veröffentlichen Bericht von 2021, restituiert.

WICHTIGER IDEELLER WERT DER ZU RESTITUIERENDEN OBJEKTE UND TEIL DES FAMILIENGEDÄCHTNISSES

Die Wienbibliothek war eine der ersten Bibliotheken Österreichs, die mit der Restitutionsforschung begonnen haben. Bereits in den ersten Jahren nach 2000 wurden tausende Akten gesichtet und zehntausende Bücher auf Provenienzspuren wie Widmungen, Ex Libris, Stempel oder ähnliche Vermerke überprüft. Besonders wichtig ist dem Historiker Christian Mertens eines: „Unsere Forschungen belegen klar, dass es sich bei den zu restituierenden Objekten nicht nur um wertvolle Gemälde oder herausragende Sammlungen handelt, sondern auch um materiell bedeutungslose Alltagsobjekte, die für ihre Besitzer*innen jedoch einen wichtigen ideellen Stellenwert hatten.“ Exemplarisch verweist Mertens auf eine schlichte rote Ledermappe, in der sich auf 273 Blättern zahlreiche Unterschriften, Widmungen, Gedichte und Unterstützungserklärungen für eine paneuropäische Friedensidee aus den 1920er Jahren befinden, die von dem jüdischen Antiquitätenhändler Josef Drach unter enormen persönlichen Einsatz ins Leben gerufen worden war.
Die Essays der Autoren illustrieren nicht nur die Abläufe der Beraubung der jüdischen Bevölkerung, sondern stellen auch die historischen Bezüge und die sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge dar. Aber auch die Geschichten einzelner Familien, so jene von Schauspieler August Zirner, Nachfahre von Ludwig Zwieback, der eines der bedeutendsten Bekleidungsgeschäfte der k.u.k.-Monarchie begründet hat, sind Teil der Publikation. August Zwirner sagte bei der Buchpräsentation im April, ihm wurde ein unbekannter Teil seines Familiengedächtnisses erschlossen, denn erst durch die Wiener Restitutionsforschung habe er davon erfahren, dass seine Familie überhaupt Anspruch auf eine Reihe von Kunstgegenständen hat.

Anne Katrin Feßler
Mediensprecherin StRin Mag.a Veronica Kaup-Hasler
+43 1 4000 – 811 91
annekatrin.fessler@wien.gv.at

Natascha Golan
Presseabteilung Jüdisches Museum Wien
+43 1 535 04 31 – 1519
natascha.golan@jmw.at

Konstanze Schäfer
Pressesprecherin Wien Museum
+43 664 54 57 800
konstanze.schaefer@wienmuseum.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender