Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 23. Jänner 2020. Von MICHAEL SPRENGER. “Neuer Standort verändert Standpunkt”.

Innsbruck (OTS) – Die Grünen werden längst ihrer Rolle als Regierungspartei gerecht und sorgen bei der Opposition für böses Blut.
Der Juniorpartner der ÖVP verteidigt eine thematische Einschränkung des Ibiza- und Casinos-U-Ausschusses.

Kann sein, dass einige ÖVPler Abbitte leisten. Die Skeptiker sind besänftigt. Mit den Grünen ist eine im Sinne der ÖVP stabile Regierungsarbeit möglich. Die letzten Zweifler waren beruhigt, als sich der Juniorpartner anschickte, mit der ÖVP den Verhandlungsgegenstand des eingebrachten U-Ausschusses zu den Causen Ibiza und Casinos einzuschränken. Einmal mehr gilt: Der Standort bestimmt den Standpunkt.
Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer versuchte wortreich zu untermauern, dass sich doch die Position der jungen Regierungspartei nicht gewandelt habe. Die Grünen hätten sogar SPÖ und NEOS angeboten, bei der Formulierung des Untersuchungsgegenstandes zu helfen. So kühn war wohl noch keine Regierungspartei gegenüber der Opposition aufgetreten. Wie Maurer mit dem Brustton der Überzeugung behauptet, waren es schließlich die Grünen, die erst dafür gesorgt haben, dass der U-Ausschuss überhaupt zu einem Minderheitsrecht geworden ist. Es stimmt, die Grünen hatten von der Oppositionsbank dies immerzu laut gefordert. So wie alle anderen Oppositionsparteien eben auch. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Anders formuliert: Die Opposition hat sich immer für ein Minderheitsrecht starkgemacht, Regierungsparteien verteidigten das Mehrheitsrecht.
Erst nach der Neuauflage der großen Koalition in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre wurde diese alte Trennlinie aufgehoben. Auf ÖVP-Seite war es der frühere Klubchef Karlheinz Kopf, der in seiner Partei für ein Umdenken sorgte. Dass es letzten Endes zu einem Allparteienbeschluss für das neue Regelwerk gekommen ist, war das Verdienst der roten Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.
Und jetzt? Der von der Minderheit beantragte U-Ausschuss zu den mutmaßlichen Korruptionsfällen wurde beschlossen, aber die Regierungsmehrheit schränkte den Untersuchungsgegenstand ein. Die Opposition sieht vor allem jene Kapitel gestrichen, die der ÖVP nicht zupasskommen. Die Regierungsparteien erkennen hingegen einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Der Verfassungsgerichtshof muss nun entscheiden.
Wie hätten die Grünen wohl reagiert, wären sie nicht in einer Koalition? Vielleicht so, wie die von der Regierungsbank vertriebene FPÖ, die nun einen Anschlag auf den Parlamentarismus erkennen will. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Die ÖVP kann zufrieden sein.

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