Diskreditierende Darstellung eines Angeklagten verletzt Ehrenkodex

Wien (OTS) – Nach Meinung des Senats 3 des Presserats verstößt der Artikel „Wahnsinnstaten: Sechs Jahre Haft für IT-Freak“, erschienen am 28.08.2019 auf „nachrichten.at“, gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im oben genannten Artikel wurde über die nicht rechtskräftige Verurteilung eines Mannes wegen gefährlicher Drohung und schwerer Körperverletzung berichtet. Der Artikel enthielt die folgende Passage: „Gestern saß der fettleibige Nerd mit Glatze […] vor dem Schöffengericht […] Den Kopf hat sich **** kahlgeschoren, weil es ihn sonst krankhaft drängt, sich die Haare auszureißen. Auch die mit roten Flecken übersäten Arme des Mannes zeugen von dem Zwang, sich Blutergüsse in die Haut zu kneifen.“

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte, dass die zitierten Äußerungen sowie die Bezeichnung als „IT-Freak“ herabwürdigend seien und den Angeklagten an den Pranger stellen würden. Zudem kritisierte er die Veröffentlichung des Fotos, weil der Angeklagte auf diesem deutlich zu erkennen sei. Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat teil. Der Autor des Artikels führte aus, dass er weder in der Bezeichnung „IT-Freak“ noch in der kritisierten Passage herabwürdigende Äußerungen sehe. Auf dem veröffentlichten Foto verdecke der Angeklagte sein Gesicht selbst mit der Hand, weshalb der Autor keinen Unterschied zu einer Verpixelung sah. Abschließend fügte der Autor hinzu, dass die Berichterstattung im öffentlichen Interesse liege.

Der Senat schließt sich den Ausführungen des Autors teilweise an:
Obgleich es besser gewesen wäre, das Bild zu verpixeln, erachtet es der Senat für die Anonymisierung als ausreichend, dass der Betroffene sein Gesicht mit der Hand großteils verdeckt. Auch bejaht der Senat grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über Strafverfahren. Allerdings wurden im vorliegenden Fall detaillierte Informationen über den Gesundheitszustand des mutmaßlichen Täters veröffentlicht. Dadurch entsteht zwangsläufig ein Spannungsfeld zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse auf Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen, so der Senat. Der Senat stimmt mit dem Autor darin überein, dass der Begriff „IT-Freak“ nicht stark negativ belegt ist. In der beanstandeten Passage wurde jedoch ein durchwegs negatives und abstoßendes Bild des mutmaßlichen Täters gezeichnet und zahlreiche Details zu seinem gesundheitlichen Zustand preisgegeben. Im Artikel wurde auch nicht erwähnt, dass die Beschreibung aus einem psychiatrischen Gutachten stammt. Nach Meinung des Senats hatte die Berichterstattung vor allem den Effekt, dass der Betroffene in einem negativen Licht erscheint. Der Senat erkennt in dieser Darstellung des Angeklagten eine Persönlichkeitsverletzung (Punkt 5). Die detaillierte Beschreibung des Gesundheitszustandes des Angeklagten bewertet der Senat darüber hinaus auch als Verletzung der Intimsphäre (Punkt 6). Anstatt die Zwangshandlungen genau zu beschreiben, hätte der Autor lediglich allgemein auf die Zwangserkrankungen und das psychische Gutachten dazu hinweisen können. Der Senat hebt positiv hervor, dass auf „nachrichten.at“ über die Entscheidung bereits freiwillig berichtet und der Artikel mittlerweile entsprechend abgeändert wurde.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall führte der Senat 3 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein selbständiges Verfahren durch. In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „nachrichten.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht. Die Medieninhaberin der „Oberösterreichischen Nachrichten“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Wolfgang Unterhuber, Sprecher des Senats 3, Tel.: 05 9030-22760

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