TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Übrig bleibt die eigene Verantwortung”, von Wolfgang Sablatnig

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Übrig bleibt die eigene Verantwortung”, von Wolfgang Sablatnig

Ausgabe vom Samstag, 24. Oktober 2020

Innsbruck (OTS) – Nach sieben Monaten Pandemie passieren der Regierung noch immer zu viele Fehler. Das Vertrauen sinkt. Den Menschen bleiben die simplen Vorsichtsmaßnahmen Hände waschen, Abstand halten und Maske tragen.

Jetzt liegt die neue Corona-Verordnung also vor, gültig ab Sonntag statt ab Freitag. Zynisch könnte man anmerken, dass jeder Chor und jede Kapelle eingeladen sind, heute noch schnell in voller Besetzung zu üben. Ab Sonntag sind nur mehr Besetzungen zu sechst erlaubt. Für Zynismus ist die Lage zu ernst. Dennoch macht sich Verunsicherung breit. Dies gilt im persönlichen Umfeld. Schon bald wird niemand mehr jemanden kennen, der wirklich Bescheid weiß.
Es gibt aber auch handfeste Zahlen. Sozialforscher der Uni Wien betreuen das „Austrian Corona Panel Project“: 1500 Menschen werden allmonatlich zur Krise interviewt. Eine Frage betrifft die Effektivität der Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung. Im September war jeder vierte Befragte der Meinung, dass die Maßnahmen überhaupt nicht oder eher nicht effektiv sind. Im Oktober glaubte schon fast jeder Dritte nicht an die Wirksamkeit.
Die Lage ist grimmig, umso mehr, als Winter und Skisaison näherrücken. Und noch immer schaffen es Gesundheitsminis­ter Rudolf Anschober und die Regierung nicht, so zu informieren, dass wir alle bald nur noch Menschen kennen, die alles wissen. Da eine Ankündigung Anschobers, er habe noch Maßnahmen in der Schublade. Dort eine Mahnung von Bundeskanzler Sebastian Kurz, man möge zu Allerheiligen auf gemeinsame Friedhofsbesuche verzichten. Aber wo ist das Gesamtbild?
Ein weiteres Beispiel: Nach sieben Monaten Pandemie schaffen es Innen- und Gesundheitsministerium noch immer nicht, einheitliche Zahlen zu veröffentlichen. Fachleute mögen den Grund für die unterschiedlichen Blickwinkel kennen – die Durchschnittsbürger wollen klare und verständliche Information.
Und die neue Verordnung: Es ist absurd, dass nur die türkis regierten Länder diese vorab gesehen haben. Die Frage ist aber nicht nur an die ÖVP zu richten, sondern auch ans Gesundheitsministerium. Warum hat dieses den Entwurf nicht an die zuständigen Landesräte geschickt?
Und noch einmal Gesundheitsministerium: Wenn sich schon abzeichnet, dass ein angekündigter Termin nicht zu halten ist, sollte das rechtzeitig so gesagt werden. Bei der neuen Verordnung war das anders.
Den Menschen bleibt das Vertrauen in die eigene Verantwortung. Es bleiben die simplen Vorsichtsmaßnahmen: Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen. Und es bleibt die Hoffnung, dass die Regierung nach Monaten der Pandemie auch die richtige Kommunikation lernt.

Tiroler Tageszeitung
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