80 70 30: Die Unterzeichnung des Staatsvertrags als Schlüsselerlebnis der Jugend

80 70 30: Die Unterzeichnung des Staatsvertrags als Schlüsselerlebnis der Jugend

Zeitzeuge Peter Marboe teilt in Demokratiewerkstatt des Parlaments Erinnerungen an Leopold Figl und den Staatsvertrag

70 Jahre Staatsvertrag waren auch in der Demokratiewerkstatt des Parlaments Anlass für einen besonderen Workshop mit einem Zeitzeugen: Der ehemalige Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe sprach mit Schüler:innen einer siebenten Klasse des Wiener Gymnasiums der Dominikanerinnen über seinen Verwandten Leopold Figl, seine persönlichen Erinnerungen an die Unterzeichnung des Staatsvertrags und den Wert der Demokratie.

„DAS GEFÜHL, WIRKLICH FREI ZU SEIN“

Die Unterzeichnung des Staatsvertrags war für ihn ein Schlüsselerlebnis in seiner Jugend, erzählte Peter Marboe den Schüler:innen. Am 15. Mai 1955 war er fast 13 Jahre alt. Die Unterzeichnung hat er über das Radio erlebt. Danach ist die Familie zum Belvedere gefahren. Marboe erinnert sich an einen „Jubeltag im ganzen Land“. Er selbst habe ein Glücksgefühl gehabt, das sich schwer beschreiben lasse – „das Gefühl, wirklich frei zu sein“.

In den Jahren der langen Verhandlungen habe er mitbekommen, dass zwischendurch großer Frust geherrscht habe. Nun war die Gefahr einer Teilung Österreichs gebannt und die Besatzungszeit vorbei. Marboe erzählte im Workshop auch von seiner Kindheit, in der er in der Sowjetzone gelebt hat. Vor allem zu Beginn sei das mit viel Angst verbunden gewesen. Mit der Zeit habe sich die Situation entspannt und man konnte sich freier bewegen. Auch die Medienlandschaft in Österreich sei von den Alliierten geprägt gewesen, erzählte Marboe. Er habe als Kind gewusst, dass die Alliierten versuchten, mit ihren Medien ihre Weltanschauung zu vermitteln. Erst mit dem Staatsvertrag habe man das Gefühl gehabt, es gebe unabhängige Informationen in österreichischen Medien.

Zu jenem Mann, der den Staatsvertrag damals für Österreich unterschrieben hat, hat Marboe eine familiäre Verbindung: Leopold Figl – für ihn „Onkel Leopold“ – war mit der Cousine seiner Mutter verheiratet. Wenn Marboes Eltern verreist waren, passten die Figls auf ihn auf. Leopold Figl habe gut schnapsen können und sei ein begnadeter Witzeerzähler gewesen, schilderte Marboe. Und: „Ich habe Onkel Leopold nie mürrisch erlebt“. Er sei immer konstruktiv und zuversichtlich gewesen, habe ohne Hass oder Resignation am Wiederaufbau Österreichs gearbeitet. Figl habe immer an Österreich geglaubt, auch während seiner Zeit im Konzentrationslager. Das habe ihn zum glaubwürdigen Gesprächspartner für die Alliierten gemacht. Für Marboe ist es ein „Glücksfall“, dass nach dem Zweiten Weltkrieg besonders fähige, engagierte und glaubwürdige Politiker:innen am Werk gewesen seien.

SCHLÜSSELWORT „DEMOKRATIE“

Das Schlüsselwort der damaligen Zeit ist für Marboe „Demokratie“. Dass es nach 1945 gelungen sei, Österreich als lebendige Demokratie wieder aufzubauen, sei der Verdienst der Politiker:innen und der Gesellschaft gewesen. Sie hätten die Bereitschaft gehabt, für Demokratie einzutreten. Auch heute müssten gerade junge Menschen um den Wert der Demokratie wissen. Denn Demokratie bedeute Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Minderheitenrechte. Außerdem würden Kriege immer nur unter Teilnahme von Diktaturen entstehen. Alleine das sei schon ein Nachweis dafür, dass es keine bessere Regierungsform als die Demokratie gebe.

Die Schüler:innen wollten von Marboe wissen, was er am Staatsvertrag ändern würde. „Nix“, sagte er knapp. Denn der Staatsvertrag sei ein Regelwerk, das in mühsamen Verhandlungen letztlich geglückt ist. Man solle nicht übertreiben mit dem „Infragestellen von Formulierungen“, die damals getroffen wurden. Natürlich sei aber alles immer in Bewegung. Eine Debatte über die Neutralität müsse erlaubt sein, die Demokratie selbst müsse jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden. Und auch die Mitschuld Österreichs am Zweiten Weltkrieg und die Beteiligung vieler Österreicher:innen am Nationalsozialismus sei jahrelang verfälscht dargestellt worden. Erst sehr spät habe man das Thema ernsthaft behandelt und begonnen, Österreich nicht nur als Opfer zu sehen.

Ein oft übersehener Punkt des Staatsvertrags ist für Marboe der Minderheitenschutz. Dieser sei nur zögerlich umgesetzt worden, zweisprachige Ortstafeln etwa seien ein „irrsinniges Politikum“ gewesen. Damals wie heute, wenn es um den Umgang mit Migration geht, gilt für Marboe dasselbe Credo: Man müsse Minderheiten als Wert und Bereicherung für der Gesellschaft sehen, nicht als Gefahr.

ÜBER PETER MARBOE

Peter Marboe wurde am 8. Juni 1942 in Wien geboren. Nach beruflichen Stationen im Bundesdienst und als Diplomat im Kulturbereich war er von 1987 bis 1991 Hauptgeschäftsführer und stellvertretender Generalsekretär der ÖVP. Danach leitete er die kulturpolitische Sektion im Außenministerium. 1996 wurde er Stadtrat für Kultur in Wien, eine Funktion, die er bis 2001 innehatte. (Schluss) kar

HINWEIS: Fotos von diesem Workshop finden Sie im Webportal des Parlaments.

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