Messenger-Überwachung passiert Innenausschuss

Messenger-Überwachung passiert Innenausschuss
Koalition verteidigt Ultima-Ratio-Maßnahme gegen Terrorismus; FPÖ und Grüne warnen vor Missbrauch und Grundrechtseingriffen
Bisher war es der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) nur erlaubt, Verkehrsdaten zu ermitteln, nicht jedoch Kommunikationsinhalte. Diese Beschränkung soll nun fallen. Der Innenausschuss gab heute mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und NEOS grünes Licht für eine Novelle unter anderem des Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetzes (SNG), die es der DSN künftig ermöglichen soll, sowohl unverschlüsselte als auch verschlüsselte Nachrichten zu überwachen (136 d.B.).
Die sogenannte Messenger- bzw. Gefährder-Überwachung soll demnach ausschließlich der Abwehr besonders schwerwiegender verfassungsgefährdender Angriffe als Ultima Ratio dienen und strengen rechtlichen und technischen Kontrollvorgaben unterliegen. Dafür ist ein mehrstufiges Rechtsschutzsystem vorgesehen, in dem insbesondere das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) sowie ein:e unabhängige:r Rechtsschutzbeauftragte:r zentrale Prüf- und Genehmigungsaufgaben erhalten sollen. Weitere geplante Neuerungen betreffen die Flexibilisierung der Aufgabenzuteilung innerhalb der DSN, die Möglichkeit, polizeiliches Einschreiten zur Sicherung nachrichtendienstlicher Aufgaben aufzuschieben, die Erweiterung des Deliktskatalogs, Berichtspflichten an das Parlament und flankierende Änderungen etwa im Telekommunikationsgesetz. Die Regierungsvorlage wurde unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags zur Regelung von Übergangs- und Inkrafttretensbestimmungen mehrheitlich angenommen.
Im Ausschuss unterstrichen Innenminister Gerhard Karner, Staatsschutz-Staatssekretär Jörg Leichtfried und die Koalitionsfraktionen die Notwendigkeit der Novelle, um Gefährdern technologisch „auf Augenhöhe“ begegnen zu können. Verfassungs- und datenschutzrechtliche Kritikpunkte wollten sie mit Verweis auf das Rechtsschutzsystem ausräumen. FPÖ und Grüne zeigten sich davon jedoch wenig überzeugt. Beide Oppositionsparteien betonten die Missbrauchsgefahr durch die erweiterten Überwachungsmöglichkeiten und äußerten Bedenken unter anderem bezüglich der Herkunft der Überwachungssoftware, deren Anbieter sich laut ihnen im „halblegalen Bereich“ bewegten.
Diese Bedenken und andere schlagen sich auch in ihren Entschließungsanträgen nieder, die mit der Regierungsvorlage zusammen debattiert wurden und allesamt keine Mehrheit fanden. So fordert die FPÖ anstatt einer Messenger-Überwachung die personelle und budgetäre Stärkung der DSN, um der aus ihrer Sicht wachsenden Bedrohung durch islamistischen Terrorismus begegnen zu können (345/A(E)).
In gleich mehreren Initiativen wenden sich die Grünen gegen die geplante Nachrichtenüberwachung. So äußern sie zahlreiche Kritikpunkte, die etwa die technische Umsetzung, die Missbrauchsgefahr und Kontrollierbarkeit der einzusetzenden Software, deren Herkunft sowie den aus ihrer Sicht mangelnden Rechtsschutz betreffen und fordern, dass der „Bundestrojaner“ nicht zum Einsatz kommt (210/A(E)).
Zudem sehen auch sie stattdessen eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der DSN als notwendig an (248/A(E)). Konkret sprechen sich die Grünen für ein Maßnahmenpaket aus, das den Verzicht auf finanzielle Kürzungen bei der DSN, die Ermöglichung von Weiterbildungsmaßnahmen, die Evaluierung bestehender Softwarelösungen und eine effektive Spionageabwehr gegen Software feindlicher Akteure enthalten soll. Zusätzlich soll die Einführung eines sogenannten Behördenzeugnisses ermöglichen, geheimdienstlich gewonnene Erkenntnisse auch rechtsstaatlich verwertbar zu machen, ohne dabei schutzwürdige Quellen oder sensible Informationen offenlegen zu müssen.
Schließlich stoßen sich die Grünen an der in der Novelle vorgesehenen Aufgabenflexibilisierung innerhalb der DSN und fordern, „die strikte organisatorische Trennung“ zwischen Nachrichtendienst und Staatsschutz aufrechtzuerhalten (315/A(E)). Diese Trennung sei die „grundlegende Errungenschaft der BVT-Reform“ und solle nicht zur Disposition gestellt werden.
KARNER UND LEICHTFRIED: MÜSSEN GEFÄHRDERN AUF AUGENHÖHE BEGEGNEN
Für Innenminister Karner handelte es sich um einen „besonderen Tag“ für den Verfassungsschutz und die Terrorabwehr, da mit der Novelle zeitgemäße Möglichkeiten für Gefährder-Überwachung geschaffen werden sollen, die auch internationalen Standards entsprechen. Nur so könne „auf Augenhöhe“ gegen den Terrorismus vorgegangen werden, wie er im Ausschuss erklärte.
Das „stabile weltpolitische“ System gehöre leider der Vergangenheit an und jede Krise und jeder Krieg wirke auch nach Österreich hinein, konstatierte Staatsekretär Leichtfried. Die innere und äußere Sicherheit seien „stark verwoben“ und an der Schnittstelle wirke der Verfassungsschutz. Dieser könne Terrororganisationen und anderen Mächten ohne erweiterte Überwachungsmöglichkeiten jedoch nicht auf einem „level playing field“ begegnen. Die Messenger-Überwachung werde „nicht überall helfen“, jedoch manchmal dazu beitragen, Menschen das Leben zu retten, so Leichtfried. Er selbst habe sich in der Vergangenheit gegen mehrere Vorstöße zur Handy- oder Nachrichtenüberwachung gestellt. Es handle sich dabei immer um einen Grundrechtseingriff. Doch diesmal sei es „gut gelungen“, der Missbrauchsgefahr mit einem starken Rechtsschutzsystem entgegenzuwirken.
Leichtfried nannte etwa das Ultima-Ratio-Prinzip oder die zeitlichen und inhaltlichen Beschränkungen der Überwachung und verwies auf ein aus seiner Sicht langes Begutachtungsverfahren. Die daraus hervorgegangenen Stellungnahmen und Kritikpunkte seien schließlich in die Novelle eingearbeitet worden – etwa in Form eines strengeren Schutzes von Berufsgeheimnissen, der Einschränkung der Verwertbarkeit von Zufallsfunden und der Stärkung der Rechtsschutzbeauftragten. Diesen und ihren Stellvertreter:innen sollen neben den zur Bewältigung ihrer administrativen Tätigkeit notwendigen Personal- und Sacherfordernissen ausdrücklich auch die notwendigen technischen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen laut Regierungsvorlage insbesondere wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, die die entsprechende technische Expertise des:der Rechtsschutzbeauftragten gewährleisten sollen. Wie Leichtfried ausführte, werde auch genau definiert, was die notwendige Software leisten solle und vor allem, was sie nicht können dürfe.
FPÖ SIEHT UNVERHÄLTNISMÄSSIGEN GRUNDRECHTSEINGRIFF
FPÖ-Sicherheitssprecher Gernot Darmann sah in der Messenger-Überwachung trotzdem einen „unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff“, da es der DSN nicht an Werkzeugen, sondern an personellen und budgetären Ressourcen fehle. Alle bisherigen Anschläge in Österreich hätten auch durch die zusätzliche Möglichkeit der Nachrichtenüberwachung nicht verhindert werden können. Bei den Anschlägen in Wien, Villach und „bis zu einem gewissen Grad“ auch beim Amoklauf in Graz habe Behördenversagen eine entscheidende Rolle gespielt – eine Deutung, die Innenminister Karner als „starkes Stück“ bezeichnete. Auch Staatssekretär Leichtfried widersprach und verwies auf die Datenmengen, die die DSN zu analysieren habe. Personell werde dort ohnehin „aufgestockt“.
Die Regierungsvorlage sei im Begutachtungsverfahren „in der Luft zerrissen worden“, argumentierte Darmann weiter. Er stieß sich auch daran, dass in der Regierungsvorlage der Islamismus nicht erwähnt werde und stattdessen von „Verfassungsgefährdern“ die Rede sei. Darmann fragte, ob damit „kritische Bürger“ gemeint wären, was Staatsekretär Leichtfried verneinte, da die Überwachung laut Gesetzestext erst ab einer Mindeststrafe von zehn Jahren zum Einsatz kommen dürfe. Weiters kritisierte Darmann, dass mit der Nutzung von Sicherheitslücken für die Einbringung der Software bewusst Schädigungen der betroffenen Computersysteme in Kauf genommen würden.
Sein Fraktionskollege Michael Schilchegger zeigte sich von den rechtlichen Vorkehrungen gegen einen Missbrauch der Software wenig überzeugt. Die Anbieter dieser Programme bewegten sich im „halblegalen Bereich“ und es könne nicht garantiert werden, dass diese ihren Zugriff auf Computersysteme nicht ausnutzten. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass ausländische Nachrichtendienste Zugriff erlangten.
GRÜNE WARNEN VOR MISSBRAUCHSMÖGLICHKEITEN
Grünen-Abgeordneter Süleyman Zorba gratulierte der ÖVP dafür, ihre Koalitionspartner davon überzeugt zu haben, ihre Grundsätze „über Bord zu werfen“. SPÖ und NEOS seien jahrelang „gute Verbündete“ bei der Eindämmung von „Spionagesoftware“ gewesen und hätten sich noch im Nationalratswahlkampf gegen eine Messenger-Überwachung ausgesprochen. Laut Zorba habe es bisher in allen Ländern, in denen diese eingesetzt worden sei, Missbrauchsfälle gegeben – trotz Rechtsschutzsystemen. Teilweise habe dies sogar zur Ermordung von Journalist:innen geführt.
Zudem gebe es noch keine Informationen über die Überwachungssoftware und deren Herkunft, beanstandete Zorba. Der Ausschuss stimme daher über eine „Black Box“ ab und könne seine Kontrollfunktion nicht wirklich wahrnehmen. Staatssekretär Leichtfried entgegnete, dass die Software bzw. eine Leistungsbeschreibung vor ihrer erstmaligen Inbetriebnahme dem Ständigen Unterausschuss des Ausschusses für Innere Angelegenheiten zur Prüfung vorgelegt werde.
Zorba erklärte ebenso wie Schilchegger, keine Unternehmen im „halblegalen Bereich mit Steuergeld unterstützen zu wollen. 80 % der Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren seien negativ ausgefallen, worauf die Bundesregierung lediglich mit „kosmetischen Änderungen“ reagiert habe. Niemand sei gegen eine Überwachung wirklicher Gefährder – die Frage sei jedoch, wie diese ausgestaltet werde, so Zorba.
Agnes-Sirkka Prammer (Grüne) kritisierte vor allem die in der Novelle enthaltene Möglichkeit, dass der:die Direktor:in der DSN dem Nachrichtendienst auch staatsschutzpolizeiliche Aufgaben übertragen können soll. Dieser Teil der Novelle werde „nebenher“ mitbeschlossen, obwohl er eine „massive Umgestaltung“ der DSN bedeute. Laut Prammer werde damit die BVT-Reform teilweise rückgängig gemacht, was der Anerkennung Österreichs bei internationalen Partnern schaden könnte.
KOALITION SIEHT NOTWENDIGEN EINGRIFF, UM GEFAHREN ABZUWEHREN
Ausschussobmann Ernst Gödl (ÖVP) räumte ein, dass bei der Genese der Novelle eine „schwierige Güterabwägung“ zwischen Sicherheit und Grundrechten notwendig gewesen sei. Schließlich habe jedoch das Interesse daran überwogen, die DSN mit zeitgemäßen Methoden auszustatten, um gegenüber dem Terrorismus nicht wie „mit Sandalen auf dem Großglockner“ agieren zu müssen. Dazu habe man ein „europaweit einzigartiges“ Rechtsschutzsystem entworfen, so Gödl.
Niemand habe sich diesen Schritt „leicht gemacht“ betonte auch Wolfgang Gerstl (ÖVP), der nochmals auf das Ultima-Ratio-Prinzip und andere Einschränkungen der Überwachung einging. Es handle sich um einen „notwendigen Eingriff, um große Gefahren abzuhalten“. Richtung FPÖ fragte Gerstl, wie diese es rechtfertigen würde, wenn aufgrund des Fehlens der Überwachungsmöglichkeit ein weiterer Anschlag durchgeführt werde. Diese Argumentationslinie stieß bei Gernot Darmann und Süleyman Zorba auf Unverständnis – Gerstl wolle laut beiden „Druck auf die Opposition“ ausüben. Eine „hundertprozentige Sicherheit“ werde es laut Friedrich Ofenauer (ÖVP) nie geben, man müsse aber alles unternehmen, um Gefährdern zumindest auf „technologischer Augenhöhe“ begegnen zu können.
Auch Maximilian Köllner (SPÖ) erinnerte an das „Metaziel“ der Novelle, die Sicherheit in Österreich zu erhöhen. Es gehe um keine Massenüberwachung, sondern um eine gezielte Gefährder-Überwachung, die auch aufgrund der steigenden Zahl an Vorfällen im Bereich des Extremismus notwendig sei. Terrorist:innen müssten möglichst früh „aus dem Verkehr gezogen“ werden, so Köllner. Melanie Erasim (SPÖ) unterstrich, dass dafür keine Software eingesetzt werden dürfe, die mehr als die in der Novelle geregelten Aufgaben erfüllen könne.
Hinsichtlich des Zustandekommens der Novelle sprach NEOS-Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff von einem „sauberen Prozess“. Zahlreiche Verbesserungsvorschläge aus dem aus seiner Sicht langen Begutachtungsverfahren seien eingearbeitet worden, verwies er etwa auf die Regelung, dass ein Dreirichtersenat beim Bundesverwaltungsgericht die Überwachungen genehmigen müsse. Ob die Novelle verfassungskonform sei, werde letztlich der Verfassungsgerichtshof entscheiden, so Hoyos-Trauttmansdorff. (Schluss Innenausschuss) wit
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